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Über ein wachsames Hähnchen

Angedacht | von Robert Welzel

„Da gedachte Petrus an das Wort, das Jesus zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er fing an zu weinen.“ (Mk. 14,70-72)

Brauchen wir in unserem Leben ein wachsames Hähnchen?


In der Essener Innenstadt erinnert ein Denkmal daran, dass die Stadt einmal vor einem Überfall gerettet wurde, weil ein „wachsames Hähnchen“ zu früh gekräht haben soll. Eine ähnliche Geschichte finden wir im Neuen Testament unserer Bibel. Als der Hahn zum zweiten Mal krähte, erinnerte sich Petrus daran, was Jesus gesagt hatte: „Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ Zuvor hatte Petrus wiederholt energisch abgestritten, ein Anhänger von Jesus zu sein, sich sogar verflucht und geschworen: „Ich kenne den Menschen nicht …“

Dabei war Petrus durchaus ein mutiger Mann. Wie Johannes berichtet, war er derjenige, der das Schwert zog, um Jesus bei seiner Gefangennahme zu verteidigen. Aber Jesus forderte ihn auf, das Schwert wieder in die Scheide zu stecken. Und jetzt, da alle geflohen waren, begab sich Petrus sogar bis in die „Höhle des Löwen“, in den Hof, der zum Palast des Hohepriesters gehörte, um in der Nähe von Jesus zu sein. Und kaum, dass er sich hier am Feuer wärmen wollte, wurde er von den Umstehenden erkannt. War er nicht einer von den Jüngern, die mit Jesus gezogen waren und bei ihm waren, als man ihn gefangen nahm? Nur weil er alles abstritt, kam Petrus ungeschoren davon. Aber um welchen Preis! Er hatte Jesus verleugnen müssen, genauso seine Freunde und seine Überzeugungen.

Hatte er einen Fehler gemacht? In der geschilderten Situation war es sicherlich klug, alles abzustreiten. Hätte er sich mutig zu erkennen gegeben, so wäre seinem Meister damit kaum geholfen gewesen. Trotzdem schämte sich Petrus. Weil er im Gespräch mit Jesus so felsenfest beteuert hatte: „Und wenn ich mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen!“ Wieder einmal hatten sich seine vorschnellen Worte im Nachhinein als undurchführbar erwiesen. Und Jesus? Jesus kannte seinen Freund Petrus inzwischen so gut, dass er schon vorher wusste, wie die Sache verlaufen würde: „Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“

Dass Jesus mit seiner Prognose recht behalten hatte, das versetzte Petrus einen Stich ins Herz und er weinte, wie die Bibel berichtet. Sicher bereute er, dass man sich auf ihn im Ernstfall nicht verlassen konnte. Und zu allem Übel würde er wohl keine Gelegenheit mehr finden, sein Versagen einzugestehen. Der Hahn, der zweimal krähte, schien dieses Dilemma zu bekräftigen.

Ob auch Jesus den Hahn hören konnte? Die Bibel berichtet darüber nichts. Aber auch für Jesus könnte der zweimalige Hahnenruf ein Signal gewesen sein. Seine Freunde waren fort oder trauten sich nicht mehr, zu ihm zu gehören. Jesus war in seinen letzten Stunden ganz auf sich allein gestellt. Selbst Gott schien ihm nicht mehr beizustehen. „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“, rief Jesus am Kreuz, bevor er starb.

Ist der Hahn damit ein Symbol für die absolute Hoffnungslosigkeit?


Wer auf dem Land lebt, weiß es womöglich anders. Denn auf den Dörfern kann es tatsächlich noch geschehen, dass wir vom „ersten Hahnenschrei“ am Morgen geweckt werden. Auch für Petrus mag der Hahnenschrei ein Weckruf gewesen sein, der ihn aufgeschreckte. Wie würde es nun weitergehen? War nun alles vorbei oder nahm erst alles seinen Anfang? Vielleicht fielen ihm auch die anderen Worte ein, die Jesus in jener Stunde zu ihm gesagt hatte: „Wenn ich aber auferstanden bin, will ich vor euch hingehen nach Galiläa.“ War es möglich, dass ein Neubeginn bevorstand? Ein Aufbruch? Dies alles mag ihm durch den Kopf gegangen sein, nachdem der erste Schmerz überwunden war. Und weitere Zeichen würden folgen mit einer klaren Botschaft: Gott hatte mit den Jüngern, hatte mit Petrus, noch viel vor!

Brauchen auch wir in unserem Leben ein wachsames Hähnchen?


Auf jeden Fall. Es braucht andere Menschen, die für uns wachen, wenn wir unachtsam, müde oder mutlos geworden sind und die an geeigneter Stelle ihre Stimme erheben, um uns aufzuschrecken. So hat die über die Medien verbreitete Nachricht über ein Geheimgespräch in Potsdam viele Menschen aufgerüttelt. Hunderttausende haben seitdem durch ihren friedlichen Protest auf den Straßen und Plätzen deutlich gemacht, dass sie alarmiert sind und dass sie nicht wollen, dass unsere Demokratie in Gefahr gerät. Sie demonstrieren für eine tolerante, offene und vielfältige Gesellschaft, die offenkundig keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Aber auch in unserem privaten Umfeld kann uns ein Weckruf erreichen: Eine flüchtige Begegnung, ein persönliches Gespräch oder eine aufmerksame Geste, vielleicht auch – wie bei Petrus – die Erinnerung an ein zurückliegendes Ereignis, können uns dazu anregen, uns aufzurappeln oder gar einen Neuanfang zu wagen. Dafür braucht es vor allem unsere Sensibilität. Seien wir wachsam, für uns und für andere.

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