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Gänsereiterbrunnen

Der Gänsereiterbrunnen an der Apostelkirche - Architektur der Kaiserzeit in Frohnhausen

Text von Robert Welzel

Der 1913 errichtete Gänsereiterbrunnen entstand zusammen mit der Apostelkirche nach Plänen des Hagener Architekten Ewald Wachenfeld auf Kosten der Stadt Essen und des Essener Verschönerungsvereins. Dieser kommunale Beitrag zu einem eigentlich kirchlichen Bauprojekt entsprach ganz der damaligen Stadtentwicklungspolitik, die eine Aufwertung des vom Wildwuchs bedrohten Stadtbildes anstrebte. Bis heute befindet sich der Brunnen im Eigentum der Stadt Essen.

Seit Mitte der 1990er Jahre bemühten sich die Evangelischen Kirchengemeinde Essen-Frohnhausen, der Verein Frohnhauser Denkmäler und Kulturwerte e.V. und die Bezirksvertretung III um die Rettung, Restaurierung und Wiederaufstellung des denkmalgeschützten, akut vom Verfall bedrohten Brunnens. Im Kulturhauptstadtjahr 2010 war dieses Engagement von Erfolg gekrönt! Essen hat einen bedeutenden Jugendstilbrunnen in alter Schönheit zurück erhalten.

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Verein Frohnhauser Denkmäler und Kulturwerte e.V.
Böhmer Straße 58a, 45144 Essen
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Nachfolgend einige Informationen zur Geschichte, kunst- und lokalhistorischen Bedeutung und Restaurierung des Gänsereiterbrunnens:

Auf Pollerbergshof

Die Stadt Essen erwarb 1904 das Ackerland des Hofes Pollerberg gen. Lange, um es an bauwillige Bauherren weiter zu veräußern. Man versuchte auf diese Weise eine schnelle Erschließung und Besiedlung des 1901 vor dem Hintergrund der massiven Wohnungsnot eingemeindeten Stadtteils Frohnhausen zu erreichen und Einfluss auf die Gestaltung der Straßen, Plätze und Parkanlage zu nehmen. Der Bebauungsplan Essen-West stammte von Robert Schmidt (damals Leiter des Stadterweiterungsamtes, dann Beigeordneter), dem bedeutenden Stadtplaner und späteren Gründer des Ruhrsiedlungsverbandes. Erstmals wurde ein Bebauungsplan mit „Allgemeinen Erläuterungen“ versehen, die den Städtebau auch in hygienischer und ästhetischer Hinsicht modernisieren sollten. Das Reformvorhaben „Pollerbergshof“ ist unmittelbarer Vorläufer des ebenfalls von Robert Schmidt geplanten Rüttenscheider „Haumannshofes“ und des Moltkeviertels („Brünglinghaushof“).

„Pollerbergshof“ galt schon bald als attraktiver Baustandort. Auch die Evangelische Kirchengemeinde Essen-Altendorf bemühte sich ausdrücklich um ein Grundstück „auf Pollerbergshof“ und erwarb 1906 von der Stadt einen Bauplatz an der neu projektierten Mülheimer Straße, nahe des zukünftigen Frohnhauser Platzes. Die Baugestalt der Kirche wurde durch die Regelungen im Kaufvertrag seitens der Stadt erheblich beeinflusst.

Den Vorstellungen Robert Schmidts entsprechend wurden rund um die geplante Baugruppe aus Kirche, Pfarr- und Gemeindehaus drei Platz- und Grünanlagen vorgesehen, darunter eine Schmuckanlage mit Brunnen an der Bonner Straße (heute An der Apostelkirche), umgeben von Bänken und sechs Linden, von denen sich drei bis heute erhalten haben. In der Pflanzung von Straßenbäumen, der Anlage von Binnenparks (Westpark und Bärendelle), Schmuckanlagen und begrünten Innenhöfen sah man eine Möglichkeit, Stadt und Natur zu verzahnen. Innerhalb der für Frohnhausen als Arbeiterstadtteil obligatorischen Blockbebauung wurden vor dem Ersten Weltkrieg gleich drei Brunnenanlagen geschaffen (neben dem Gänsereiterbrunnen noch der Marktbrunnen auf dem Frohnhauser Platz und der Brunnen des Luisenhofs), so viele wie in keinem anderen Essener Stadtteil. Die Pläne der Platzanlage mit dem Gänsereiterbrunnen präsentierte die Stadt Essen vermutlich auf der internationalen Baufachausstellung Leipzig 1913.

Der Gänsereiter als heimatkundliches Motiv

Noch wenige Wochen vor der Fertigstellung des Brunnens bestand Unklarheit über die Thematik des Wasserkunstwerkes, das vorrangig der Verschönerung des Stadtbildes dienen sollte. Für die Plastik auf der Spitze des Brunnens wurden Modelle sowohl für einen „Gänsereiter“ als auch für ein „Hähnchen“ gefertigt. Offenbar war also auch das "Hahneköppen" im Gespräch, ein Karnevalsbrauch, der bis heute in Frohnhausen gepflegt wird.

Die letztendlich realisierte Plastik des Gänsereiters nimmt Bezug auf einen Gänsereiterverein, der 1913 schon Geschichte war und dessen angebliche lokale Wurzeln in „alter“, vorindustrieller Zeit lagen. Ohne auf die geplante Brunnenanlage Bezug zu nehmen, berichtete der Essener Generalanzeiger am 4. Februar 1913:

"15 Jahre, bis 1898, bestand in den Ortschaften Frohnhausen und Holsterhausen der Gänsereiter-Verein, dessen Mitglieder sich vornehmlich aus den jüngeren Leuten der Ortschaft rekrutierten ... In den meisten Fällen war der Schauplatz dafür die Frohnhauser Straße vor der Wirtschaft Zum alten Potthoff (heute Rielpark). Dort wurden zuweilen auch Tribünen für die Zuschauer in den Stratmannschen Garten hineingebaut. ...

In Massen strömte dann das Publikum aus der Umgegend und auch aus der Stadt Essen nach dem alten Potthoff, um sich diesen Fastnachtstrubel anzusehen. Unter einem Querbalken, der auf zwei zur Seite der Straße stehenden Balken ruhte, war die tote Gans an einer über eine Rolle laufenden Schnur so befestigt, daß sie auf und ab bewegt werden konnte.

Vorher wurde an der Schnur ein weiter Reifrock, eine s.g. Krinoline aufgehängt. In dieser Krinoline hingen lange Würste mit verdächtigem Inhalt, wie Mehl, Ruß, Blut, nach denen die im Trab darunter herreitenden Mitglieder des Gänsereiter-Vereins griffen und häufig zum Spaß der Zuschauer mit dem Inhalt der Wurst überschüttet wurden. Das Greifen nach der Gans begann gewöhnlich um elf Uhr und dauerte manchmal zwei Stunden, ehe der bestimmte Reiter der Gans den Kopf abgerissen hatte. ...

Auch gab´s unter den Gänsereitern zuweilen ‚Reiter zu Fuß‘, die sich in Ermangelung eines Ackergauls mit einem hölzernen Karussellpferd begnügten. Durch ihren Anzug markierten die Gänsereiter den westfälischen Bauern. Sie trugen einen blauen westfälischen Bauernkittel, um den Hals ein knallrotes Taschentuch und auf dem Kopfe die bekannte Zipfelmütze.

Derjenige, dem es gelang, der Gans den Kopf abzureißen, wurde nach Abhaltung einer Parade zum Gänsekönig proklamiert und ihm von seinem Vorgänger ... die Insignien seiner Würde überreicht."

Es mag erstaunen, dass überhaupt ein heimatkundliches Motiv gewählt wurde, mitten in einem überwiegend von Zugezogenen bewohnten Neubaugebiet. Zu mutmaßen ist, dass man gerade in diesen Menschen, die ihre alte Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen hatten, Gefühle für die neue Essener Heimat wecken wollte. Feierabendliche Krupparbeiter bevölkern den idyllischen Brunnenplatz, so dürfen wir uns das Ideal vorstellen, welches mit einer solchen Anlage verbunden wurde. Auch für den Schatzgräberbrunnen auf der Margarethenhöhe (1912) und den Schwanhildenbrunnen in Stoppenberg (1916) wählte man heimatkundliche Themen. Den Frohnhauser Marktbrunnen sollte ursprünglich eine Darstellung des Pollerbergshofes schmücken, auf dessen Feldern das neue Stadtviertel entstand."

Delphine mit Schuppen

In der Gesamtkomposition erinnert der auffallend große Kugelaufbau des Brunnens, um den sich rhythmisierend die s-förmig geschwungenen Delphinschwänze legen, an eine Blütenknospe und kennzeichnet den Brunnen als Kunstwerk des späten Jugendstils. Mythologisch versinnbildlichen die Delphine das feuchte Element schlechthin und tragen in Anlehnung an antike Darstellungen das naturwissenschaftlich unzutreffende Schuppenkleid. Die ironischen Masken an der unteren Brunnenschale sind ein im Jugendstil häufig verwendetes Motiv und haben letztlich nur dekorativen Charakter.

Die Brunnenrettung

Im Zweiten Weltkrieg ging die vom englisch-deutschen Bildhauer William Ohly gefertigte Skulptur des nach der Gans greifenden Reiters verloren und ist nur auf wenigen Abbildungen überliefert. Überhaupt wurde der Brunnen schwer beschädigt, als die Apostelkirche in Trümmer sank. Die von den Flammen verursachten Schäden am Naturstein sind bis heute sichtbar. Beim Wiederaufbau wurden die erhaltenen Teile rund um den durch Bombeneinwirkung förmlich zerrissenen Brunnenkern wieder zusammengefügt, fehlende Elemente in verputzten Ziegelsteinen ersetzt. Ein Wasseranschluss war nicht mehr vorgesehen. Aus der Platzanlage wurde eine Rasenfläche, der Brunnen aus der Not heraus zum Brunnendenkmal mit einer Schauseite zur Berliner Straße. Schutzlos waren die Bildhauerarbeiten von William Ohly in den folgenden Jahrzehnten der Witterung ausgesetzt.

Im Januar 2008 wurde der Gänsereiterbrunnen abgebaut. Die Restaurierung erfolgte im Auftrag des Tiefbauamtes der Stadt Essen durch die Firma Kalenborn als renommiertes Steinmetz- und Restaurierungsfachunternehmen und wurde in Sachsen durchgeführt. Der Brunnen besteht – neben dem Kugelaufbau - aus insgesamt 48 Natursteinelementen. Die 35 im Original erhaltenen Elemente einschließlich des bildhauerischen Schmucks und der Grundplatte (Stufe) wurden bis auf das feste Material abgeschält und fachgerecht restauriert. 13 Elemente, die bereits seit der Kriegszerstörung fehlten, wurden aus Tuffstein (Selters) nachgestaltet.

Der Brunnen erhielt nach dem Entwurf von Eugen Kalenborn eine völlig neue Innenkonstruktion, die eine gute Wasserzu- und -abführung erlaubt. Eine unter der Platzfläche befindliche Zisterne mit Umwälzpumpe sorgt für einen niedrigen Wasserverbrauch. Der Kugelaufbau des Brunnens ist jetzt zweiteilig und kann im Bedarfsfall abgehoben werden, so dass zukünftige Reparaturen möglich sind. Aus konservatorischen Gründen ist der Standort des Brunnens in die Mitte des neugepflasterten Platzes verschoben worden. Die ursprüngliche Anordnung der äußeren Brunnenschale mit den Masken wurde rekonstruiert, viele Details, wie z.B. die Delphinschnäbel wurden liebevoll aufgearbeitet.

Dass die Restaurierung rechtzeitig zum Kulturhauptstadtjahr 2010 abgeschlossen werden konnte, ist auch den vielen kleineren und größeren Spenden zu danken, die den erforderlichen Eigenanteil für die in Anspruch genommenen Städtebaufördermittel darstellten und die der Verein Frohnhauser Denkmäler und Kulturwerte e.V. einwarb. Auch allen Bürgerinnen und Bürgern und Geschäftsleuten, besonders der Sparkasse Essen sei an dieser Stelle sehr herzlich für ihre Unterstützung gedankt!

Am 24. April 2010 war es soweit: Nach über 65 Jahren sprudelte wieder das Wasser. Seitdem ist der Brunnenplatz, der Dank weiterer Spenden auch Sitzbänke erhalten hat, mehr und mehr zu einem lebendigen Kommunikationsort im Herzen Frohnhausens geworden.

Literaturhinweis:
Essener Beiträge des Historischen Vereins für Stadt und Stift Essen, Bd. 115, 2003: Robert Welzel: Wie Frohnhausen zum Gänsereiter kam – Ästhetische Gesichtspunkte der Essener Stadtplanung am Beispiel eines Brunnens

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